Perfektion liegt im Auge des Betrachters
- Nikole Firle

- 11. Aug. 2023
- 4 Min. Lesezeit

Bald ist es wieder soweit und wir fahren in den Sommerurlaub. Dabei musste ich an unseren letzten Urlaub denken. Wir waren in Italien am Meer. Zum ersten Mal mit den Kindern. Wir alle waren aufgeregt und freuten uns riesig. Obwohl ich und mein Mann alles gut geplant und organisiert hatten, kamen doch noch ein paar kleine Probleme, die wir nicht voraussehen konnten. Eigentlich hätte ich kurz vor dem Urlaub eine neue Zahnkrone bekommen sollen. Das Provisorium, dass ich bis zum tatsächlichen Einsetzen der richtigen Krone eingesetzt bekam, war bereits einige Zeit in Verwendung und in keinem guten Zustand mehr. Froh, endlich zwei Tage vor dem Urlaub, meine endgültige Zahnkrone zu bekommen, saß ich auf dem Zahnarztstuhl. Das Provisorium wurde entfernt und die neue Krone wurde aufgesetzt. Doch irgendwas stimmte nicht. Die Zahnärztin schaute sich die Krone genauer an. Ein kleiner Haarriss durchzog die Krone und mit Bedauern teilte mir die Zahnärztin mit, dass sie mir die Krone nicht mit gutem Gewissen einsetzen kann. Sie meinte es handelt sich um ein Materialfehler und es muss eine neue Krone angefertigt werden. Ungläubig schaute ich die Zahnärztin an. Sie wusste nichts von meinen bisherigen Bemühungen in den letzten Wochen, bis zum Sommerurlaub, eine Gleitsichtbrille besitzen zu wollen, durch die ich auch etwas sehen kann. Schon Wochen vorher hatte ich eine intensive Beziehung zu einem Brillengeschäft aufgebaut. Ständig musste ich vor Ort, um etwas wegen meiner neuen Gleitsichtbrille abzuklären. Einmal war es die falsch gemessene Sehstärke, dann war die Höhe des Lesesichtfeldes nicht richtig bemessen. Dann saß die Brille nicht richtig und rutschte immer wieder von der Nase. Dann musste eine anderes Brillengestell her. Dann ist mir mehrmals beim Lesen zuhause einfach ein Brillenglas auf mein Schoß gefallen. Der Rahmen war nicht richtig verschraubt. Mit jedem neuen Problem, das auftauchte, das immer einige Tage zur Klärung benötigte, verlor ich immer mehr die Hoffnung, jemals eine Brille zu bekommen, die wirklich passte und funktionierte. Der Urlaub war bereits in Sicht und es war nicht mehr möglich rechtzeitig eine Brille mit passender Sehstärke zu bekommen. Also gut. Ich muss nun mit einer Brille mit weniger Sehstärke und mit verschwommenen Blick in den Urlaub fahren, in der Hoffnung das die Gläser dort blieben, wo sie hingehörten. Nun saß ich also auf diesem Zahnarztstuhl, ich weiß nicht, ob mein Gesichtsausdruck das widerspiegeln konnte, was ich in dem Moment empfand. Die Zahnärztin sagte, sie müsste das Provisorium wieder einsetzen. Das das bereits gar kein richtiges Provisorium mehr war, weil sich ein Loch darin befand, interessierte sie nicht. Sie redete mir gut zu und meinte das müsste noch halten, wenn nicht soll ich es abends rausnehmen, damit ich es nachts nicht verschlucke. Auch das noch. Ich schaute sie nur an. Ich hatte mich so auf diesen Urlaub gefreut. Ich hatte nicht gedachte, dass ich mich als Halbblinde und Kronenlose auf den Weg machen müsste. Nun gut. Ich konnte es nicht ändern. Es ist wie es ist. Wir machten uns auf den Weg. Mit verschwommenem Blick schaute ich nach 10 Stunden Fahrt auf das strahlendblaue Meer, schaute den Wellen zu wie sie an den Strand rollten, fühlte die leichte Brise auf meinem Gesicht und grub meine Zehen in den feinen Sand. Ich war angekommen und alle Mühe war vergessen. Natürlich war jede Mahlzeit eine Katastrophe. Ich konnte nicht alles kauen. Kaute nur auf der einen Seite und nach dem Kauen, spürte ich mit der Zunge jedes Mal nach, ob das Provisorium noch an seinem Platz saß oder ob ich es aus Versehen verschluckt habe. Irgendwann fiel es dann auch tatsächlich ab. Ich versuchte es noch mit Zahncreme, wie die Zahnärztin es empfohlen hatte. Einfach in das Provisorium schmieren und wieder reinsetzen. Da das Provisorium aber fast nicht mehr existierte, war das mit der Zahncreme so eine Sache. Wohin denn mit der Zahncreme, wenn das Provisorium quasi nur noch ein Schatten seiner selbst war? Ich schrieb eine Mail an die Zahnärztin, erklärte die Situation und bat um Hilfe. Ich durfte das Provisorium weg lassen. Die zweite Woche meine Urlaubes durfte ich endlich ganz normal essen und trinken. Welche eine Wohltat. Trotz dieser ganzen Misere. Trotz der vorangegangenen Mühe, die nicht zum gewünschten Ergebnis führte und trotz der Einschränkungen, war dieser Urlaub einer meiner schönsten Urlaube in meinem Leben. All diese Probleme konnten mich nicht darin hindern, diesen Urlaub als das zu sehen, was er war. Mein langersehnter Strandurlaub mit meine Familie. Die Spaziergänge am Stand. Das blaue Meer. Das Gefühl von Freiheit. Leckeres Essen. Glutenfreie Pizza für mich. Großartige Ausflüge. Meine entdeckte Liebe zu Macarons. Ja, wir waren in Italien. Aber genau darum geht es doch. Nicht einem vorgegebenen Schema zu folgen. Sondern den Urlaub zu machen, der zu deinem eigenen besonderen Erlebnis wird. Ich werde noch Jahre an diesen Urlaub zurückdenken. Daran denken, wie ich nachts das Gefühl hatte, das die Grillen, die nachts laut ihr Konzert gaben, gefühlt neben meinem Bett saßen und ich erst am Morgen sah, dass die Grille tatsächlich bei uns in den Bungalow eingezogen war. Wie sie in der Küche unter der Spüle wohnte und wir immer versuchten sie zu fangen, weil wir kein Insektenspray sprühen wollten. Und dennoch, war es einer meiner schönsten Urlaube. Dieser Urlaub war für mich wieder der Beweis. Ein perfekter Urlaub liegt im Auge des Betrachters. Und hat aus meiner Sicht nicht immer was mit Perfektion zu tun. Ich habe mich zumindest dafür entschieden nicht mehr perfekt sein zu wollen, sondern meine ganz eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Ich wünsche Dir einen wunderschönen Sommerurlaub, der nach deinen eigenen Vorstellungen „perfekt“ oder auch „perfekt unperfekt“ ist. PS: Zahnkrone aktuell okay & Brille auch okay 😉




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